Älter als die Universität
Das Psychologische Institut in Frankfurt
1905 - heute
EINE FREIE STADT MIT GROSSER GESCHICHTE:
FRANKFURT UM 1900
Römer
Gebäudekomplex Haus zum Römer und Haus zum Schwan seit 1405 Rathaus. Im Erdgeschoss als Warenlager für die Frankfurter Messen genutzt
Kaiserdom St. Bartholomäus
Durch die Goldene Bulle von Karl IV 1356 als Ort für Königswahlen ausgewählt. Letzte Krönung zum Kaiser: Franz II. im Jahr 1792
Palais Thurn und Taxis
Erbaut 1731 bis 1739
Sitz der General-Postdirektion
Von 1816 bis 1866 tagte hier der
Bundestag des Deutschen Bundes
Börneplatzsynagoge
Eine von drei großen Synagogen in Frankfurt am Main, den Zentren des jüdischen Lebens. Erbaut 1881/1882, zerstört 1938
Paulskirche
fertiggestellt 1833
Einzug der Parlamentarier der Frankfurter Nationalversammlung am 18. Mai 1848
Neue Börse
1879 Neubau als Nachfolger des seit 1843 bestehenden eigenen Börsengebäudes, das zu klein geworden war
DER ABSTIEG FRANKFURTS ZUR PREUSSISCHEN PROVINZSTADT 1866
„Vor 150 Jahren, am frühen Morgen des 24. Juli 1866 erhängte sich Carl Constanz Victor Fellner im Garten seines Hauses an der Seilerstraße in Frankfurt. Der letzte Bürgermeister der Freien Stadt Frankfurt nahm sich aus Verzweiflung über das Schicksal seiner Vaterstadt das Leben, die am 16. Juli im Krieg zwischen Preußen und Österreich von preußischen Truppen besetzt worden war. Sein Freitod markiert auch das Ende der Freien Stadt. Frankfurt verschwand danach wie Hessen-Kassel, Nassau und Hannover als Staat von der Landkarte und wurde eine ordinäre preußische Stadt in der Provinz Hessen-Nassau. Bis dahin war Frankfurt eine kleine, aber feine Republik gewesen, die als stärkstes deutsches Finanzzentrum mit der halben Welt in wirtschaftlicher Verbindung stand.“
Hans Riebsamen: „Als Frankfurt eine ordinäre preußische Stadt wurde“ www.faz.net, 24.7.2016
„Für uns tritt vor allem die Erinnerung
an das Schicksalsjahr 1866 in den Vordergrund,
weil in diesem Jahre nicht nur auf den böhmischen Feldernder langjährige, seit 1848 in immer leidenschaftlicheren Formen geführte Streit um die Vorherrschaft in Deutschland zugunsten Preußens entschieden und die Grundlage für das neue Deutsche Reich gelegt wurde, sondern zugleich in untrennbarem Zusammenhang mit diesen weltgeschichtlichen Ereignissen hier in Frankfurt der Gedanke auftaucht, als Ersatz für den Verlust des Bundestages und der mit ihm gegebenen deutschen und europäischen Stellung in Frankfurt eine Universität zu errichten.“
Zitiert aus: Dr. Franz Adickes „Persönliche Erinnerungen zur Vorgeschichte der Universität Frankfurt a.M. Zum 18. Oktober 1914“, Frankfurt a.M. im Frühjahr 1915
Fotos und Karrikatur aus: „Frankfurt 1866“, ausgewählt und eingeleitet von Wolfgang Klötzer, Institut für Stadtgeschichte (ISG), Frankfurt 1966
Seit 1372
Freie Reichsstadt
Wahl- und Krönungsstätte
von 52 Königen und Kaisern
Mittelpunkt von Handelsstrassen
und Postwesen
Messe-, Banken- und
Börsenstadt
1815-1866
Bundeshauptstadt des
Deutschen Bundes
1848
Erstes Deutsches
Parlament
1866
„Besetzung“ Frankfurts
durch die Preußen
1866-1918
Preußische Provinz
ADICKES IDEE
„… so blieb doch der Gedanke der Errichtung einer Universität in Frankfurt immer der leuchtendste aller der Sterne, die mich lockten und meinen Weg erhellten…“ *
Oberbürgermeister Franz Adickes (1846 – 1915) hat im Namen der JÜGELSTIFTUNG und durch deren Finanzierung sowohl den Bau des Auditoriengebäudes in die Wege leiten als auch Karl Marbe zum ersten Professor für Philosophie, Psychologie und Pädagogik berufen können. Die Jügelstiftung wurde von Franz und August Jügel zum Andenken an ihren Vater Carl Christian Jügel errichtet.
Adickes hat bis zuletzt an der Verwirklichung seiner Universitäts-idee gearbeitet. Obwohl er 1912 sein Amt aufgegeben hatte, gestaltete er das Universitätsprojekt weiter und konnte die Eröffnung der Universität im Oktober 1914 noch miterleben, bevor er im Jahr darauf verstarb. Ursprünglicher Kernpunkt seiner Planung zur Umsetzung der Universität war seine Ansicht, dass es unbedingt einer PHILOSOPHISCHEN FAKULTÄT bedürfe, die die Natur- und Geisteswissenschaften bündeln würde und die Klammer für alle Fächer sein könnte. Um beim Wettstreit um die besten Gelehrten mit Universitätsstädten konkurrieren zu können, wäre die Schaffung eines gemeinsamen Ortes und einer gemeinsamen Institution hilfreich, ja sogar notwendig. Seiner Meinung nach war in Frankfurt alles schon vorhanden, was eine Universität braucht, nur eine Philosophische Fakultät fehlte noch. Philosophie als mehr theoretisch erscheinendes Fach ließe sich leichter installieren, wenn es mit einem Fach, das einen praktischen Nutzen hat, verbunden würde. Die ideale Besetzung wäre also einer, der sich sowohl mit PHILOSOPHIE und PSYCHOLOGIE als auch mit PÄDAGOGIK auskennt. Da Franz Adickes persönlich für die Besetzung der Professoren an der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften zuständig war, konnte er mit KARL MARBE keine bessere Wahl treffen.
* zitiert aus: Dr. Franz Adickes „Persönliche Erinnerungen zur Vorgeschichte der Universität Frankfurt a.M. Zum 18. Oktober 1914“, Frankfurt a.M. im Frühjahr 1915
DIE GRÜNDUNG DES PSYCHOLOGISCHEN INSTITUTS 1905
Im Jahre 1905 berief Oberbürgermeister Franz Adickes im Namen des Verwaltungsausschusses der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften Karl Marbe (1869 – 1953) zum ersten Professor für Philosophie, Psychologie und Pädagogik, der nach seinen Interessen das Psychologische Institut einrichtete. Die enorme Vielseitigkeit Karl Marbes zeigte sich in der großen Bandbreite an wahrnehmungs- und denkpsychologischen Studien im Human- wie auch im Tierbereich. Als Mitglied der „Würzburger Schule“ der Denkpsychologie, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand, trug er wichtige Grundlagen für die spätere „Kognitive Wende“ der Psychologie bei. Höhepunkt seines Wirkens in Frankfurt war 1908 die Ausrichtung des III. Kongresses der Gesellschaft für Experimentelle Psychologie.
Dem Frankfurter Institut kommt mit der Etablierung der Psychologie als wissenschaftliche Disziplin, die Natur- und Geisteswissenschaften verbinden sollte, neben der Senckenbergischen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft und dem Physikalischen Verein eine wichtige Rolle in der Vorbereitung der erst 1914 gegründeten Universität zu.
Aus: „Die Rechenkunst der Schimpansin Basso im Frankfurter Zoologischen Garten“
KARL MARBE
(1869-1953)
Apparaturen für wahrnehmungspsychologische Experimente aus dem berühmten Laboratorium von Wundt
In seinen Werken setzt sich Marbe u.a. auch mit dem Widerspruch zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung und Erfahrung auseinander.
III. Kongreß für EXPERIMENTELLE PSYCHOLOGIE
in Frankfurt am Main | 22.-25. April 1908
Gesellschaftliches Programm
Begrüßungsabend
Dienstag, den 21. April 1908
im Kaisersaal des Römers, veranstaltet von der Stadt Frankfurt,
Begrüßung durch Oberbürgermeister Adickes
Mittwoch, den 22. April 1908
Mittagessen in den reservierten Räumen des Palmengarten-Restaurants
Abends: Gemeinsames Abendessen im Zoologischen Garten
Donnerstag, den 23. April 1908
Zu Ehren des Kongresses:
Aufführung von Hebbels Maria Magdalena
im Schauspielhaus
„Nach Schluß der Vorstellung:
Bierabend im reservierten großen Saal des Restaurants Alemannia
(Schillerplatz No.4). Für diejenigen Kongreßteilnehmer, welche etwa das
Theater nicht zu besuchen gedenken, ist der Saal von 8 Uhr an reserviert.“
Freitag, den 24. April 1908
Abends: Festessen im Palast Hotel Fürstenhof
Samstag, den 25. April 1908
„Für das Mittagessen sind an diesem Tag keine besonderen Vorbereitungen getroffen. Es wird sich jedoch empfehlen, wenn die Kongressiten im Restaurant des Hauptbahnhofes speisen. Diejenigen Herrschaften, die sich mit einander verabreden, wollen davon Kenntnis nehmen, daß der Frankfurter Hauptbahnhof in jedem Flügel (Nord und Süd) Bahnhofsrestaurationen besitzt.“
WISSENSCHAFTLICHES PROGRAMM
ausgewählt aus 30 Referaten, Vorträgen und Demonstrationen
im Auditoriengebäude der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften
Leitung: Prof. Karl Marbe
1. Tierpsychologie, Anatomie
Prof. Ed. Claparède (Genf): Die Methode der tierpsychologischen Beobachtungen und Versuche
Prof. L. Edinger (Frankfurt a.M.): Die Beziehungen der vergleichenden Anatomie des Nervensystems zur Psychologie
Privatdozent Dr. U. A. Kappers (Frankfurt a.M.): Über die Bildung von Faserverbindungen auf Grund von simultanen und sukzessiven Reizen
2. Psychologische Methodik und Technik
Prof. K. Marbe (Frankfurt a.M.): Die Verwertung rußender Flammen in der Psychologie und ihren Grenzgebieten, Demonstrationen
Dr. M. Seddig (Frankfurt a.M.): Projektion des Newton‘schen Farbendreieckes und Apparate zur Mischung von Komplementärfarben Privatdozent Dr. O. Schultze (Frankfurt a.M.): Die Bedeutung psychologischer Fehlerquellen bei Blutdruckmessungen
3. Lehre von den Sinneswahrnehmungen und Bewegungen
Prof. A. Aall (Kristiania): Über den Maßstab beim Tiefensehen Dr. C. Minnemann (Kiel): Verschiedene Beobachtungen an kurzandauernden Lichtreizen
Prof. J. Plaßmann (Münster): Beziehungen zwischen Astronomie und Psychologie
Dr. G. Révész (Budapest): Orthossymphonie, eine parakustische Erscheinung
4. Psychologie der höheren Bewusstseinsvorgänge; Schlaf und Traum
Dr. W. Specht (München): Über das pathologische Verhalten der Aufmerksamkeit
Prof. E. Dürr (Bern): Über experimentelle Untersuchung der Denkvorgänge
Dr. A. Grünbaum (Würzburg): Über die Abstraktion des Gleichen
Privatdozent Dr. O. Schultze (Frankfurt a.M.): Bericht über Assoziationsversuche des psychologischen Instituts der Frankfurter Akademie
Dr. W. Peters (Wien): Erinnerungsassoziationen Prof. A. Michotte (Louvain): Gedächtnisversuche mit mehrfachen Assoziationsrichtungen
Dr. O. Lipmann (Berlin): Zur Bedeutung der Reaktionen bei Gedächtnis- und Aussageversuchen
Dr. A. Guttmann (Berlin): Farbsinn und Malerei Privatdozent Dr. S. Alrutz (Upsala): Halbspontane Erscheinungen in der Hypnose (Demonstration)
5. Sprache
Prof. A. Pick (Prag): Über das Sprachverständnis vom Standpunkte der Pathologie aus
Privatdozent Dr. K. Bühler (Würzburg): Über das Sprachverständnis vom Standpunkte der Normal- psychologie aus
Prof. A. Thumb (Marburg a.L.): Assoziationsversuche im Dienste der Sprachwissenschaft
Dr. Menzerath (Düren,Rhld.): Psychologische Untersuchungen zur sprachlichen Kontamination
6. Kinderpsychologie, Pädagogik
Herr und Frau Prof. Stern (Breslau): Freie Gedächtniszeichnungen eines Knaben aus dem 4.-6. Lebensjahre (Demonstration)
Prof. W. Stern (Breslau): Die Entwicklung der Raumwahrnehmung beim Kinde Dr. F. Schmidt (Würzburg): Untersuchungen über die spontane ästhetische Empfänglichkeit des Schulkindes